17 Juni 2007

Gratwanderung

Der Mittenwalder Höhenweg


Michael Pause schreibt in seinem Buch "Münchner Hausberge" über den Mittenwalder Höhenweg:"Die schöne, genussreiche und teilweise sehr luftige Tour über den bekanntesten Klettersteig des Karwendels verlangt unbedingt Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sowie komplette Klettersteigausrüstung."
Meine nagelneue Klettersteigausrüstung sollte heute eingeweiht werden - zum Kletterkurs hatte ich eine vom Alpenverein geliehen.
(Randbemerkung: insbesondere bei diesem Blogbeitrag lohnt es sich, die Bilder per Mausklick zu vergrößern. Sie gewinnen dadurch an Wirkung. Wobei sie andererseits auch dann nicht in so sehr hoher Auflösung vorliegen. Aufgrund der Menge wollte ich den Leser durch Wegall von Größe entlasten)



Sollte mich ein Leser darum beneiden, so nah an den Bergen zu wohnen, dem sei gesagt: an diesem heutigen Tag war ich in Sachen Klettersteig 15-16 Stunden unterwegs. Davon entfielen 5 Stunden auf An- und Abfahrt. Der Zug von München nach Mittenwald braucht allein fast 2 Stunden. Von "nah" kann also so richtig keine Rede sein. Aber nah genug, dass schon der Zug morgens um 6:30 Uhr ab München HBF gerammelt voll war mit Wanderern, Kletterern und Bikern, die ihre Räder in zwei mitgeführten Waggons unterbringen konnten.
Die heutige Tour ist etwas hochalpiner und startet gleich Auge in Auge mit ein paar Restschneefeldern, nachdem die Karwendelbahn uns in wenigen Minuten auf eine Höhe von über 2200 m ü. nN transportiert hat.



Der Mittenwalder Höhenweg wechselt zwischen deutschem und österreichischem Gebiet hin und her. Gigantische Aussichten bietet er nach beiden Seiten hin.

Noch frohgemut, frisch verschnürt mit der neuen Ausrüstung kann es wenig später losgehen.

Der "Chef" sprich: Gruppenleiter vom Alpenverein sammelt seine Schäfchen und zählt immer mal wieder durch, ob auch keines zwischendurch verloren gegangen ist. Gegangen wird aber nicht immer in geschlossener Gruppe, sondern für manche Abschnitte entstehen auch größere Lücken zwischen den Teilnehmern. Wie immer bei Klettersteigen muss jeder sein eigenes Tempo-und Sicherheitsgefühl finden und beachten.

Im Grunde gibt es auf der ersten Hälfte des Klettersteigs keine wirklichen Schwierigkeiten. Man muss sich wieder an dieses Gefühl gewöhnen, sehr nah am Abgrund entlangzuhangeln. Schwindelgefühle zu beherrschen oder sogar irgendwie abzustellen. Das dauert eine Weile und verhindert so etwas den Genuss der wunderschönen Ausblicke rundum.
Schon früh erscheinen auf der Strecke die ersten - noch zahmen und harmlos kurzen - Leitern, bei denen es mir meist völlig unnötig erscheint, mich mit der Ausrüstung abzusichern. Hier enwickele ich keinerlei Ängstlichkeiten und vertraue meinem sicheren Stand und nicht den Karabinern.


Auch der Grat ist meist breit genug um das Gefühl zu haben, nicht so schnell runterfallen zu können. Anfangs wieder diese Hemmung, sich angesichts der großen Höhe und beidseitigen Abgründe, aufrecht gehend und womöglich noch flott vorwärtszubewegen. Das Hirn signalisiert ja doch erstmal: "Vorsicht!" Meinen Helm habe ich noch nicht aufgesetzt. Hier oben ist die Steinschlaggefahr eher gering, fand ich ;-)


Aber dann kamen sie natürlich doch noch: die Stellen, bei denen auch mir wieder mulmig wurde. An vielen Stellen waren - hauptsächlich weil's dort keine geeigneten Felsen gab - keinerlei Drahtseilversicherungen angebracht obwohl es auf krisseligen Rutschsteinchen dicht am Abhang liegende steile Wegpassagen zu bewältigen gab. Hier ist hohe Konzentration Pflicht. Die Umgebung wird unwichtig und verschwindet aus der Wahrnehmung. Jede Fußbewegung erfordert bewußtes Denken, die Blicke kleben am Boden.
Viel später kamen auch noch einige sehr kitzlige Stellen am Fels. Aber dort war - wegen Steinschlaggefahr (und es kamen auch mehrere kleine und auch größere Brocken runtergerumpelt) jedes Stehenbleiben verboten. Außerdem konnte ich immer nur an Stellen fotografieren, an denen ich niemanden behindert habe. An den wirklich kritischen Stellen ist jedes Überholen unmöglich, oft entstehen kleine Staus weil einige sehr langsam passieren. Hier kann man - wenn man selber dran ist - nicht einfach stehenbleiben und knippsen. Mal abgesehen davon, dass ich - wenn in so einer Passage mittendrin - selber nicht immer die Nerven hatte, in meiner Hosentasche nach der Diggicam zu friemeln, sie einzustellen ... etc.


Am Fuße dieser Leiter für die "Feuerwehrübung" die erste von drei Gedenktafeln, die ich im Laufe der Strecke gesichtet habe. Leitern - das merke ich an dieser recht langen und luftigen ganz sicher - schocken mich nicht. Ich passiere sie größtenteils ohne eingehakte Sicherung, weil mir das mehr Zeit zu kosten scheint als es an Sicherheit bringt.

Und so ging es denn Stunden um Stunden weiter. Am Fels entlang,





über einige glitschig feuchte Holzstege, die netterweise über extrem ausgesetzten Stellen angebracht waren




oder immer wieder auf direkten Gratpassagen - streckenweise mit Drahtseilversicherung, streckenweise aber auch wieder ohne.

Immer häufiger löst sich auch der Blick von Füßen und Felsen und genießt die Postkartenidylle bei Postkartenwetter.
Diesen Steig sollte man nur gehen, wenn wirklich sicher ist, dass kein Gewitter aufziehen wird. Es gibt keine Möglichkeit, zwischendurch auszusteigen, man wäre quasi Blitzfänger und auf der stundenlangen Route gibt es nur einen einzigen kleinen Bretterverschlag als Schutzmöglichkeit.


Es wird einem kaum bewußt, dass der Grat - einfach so im Vorbeigehen - gleich 4 Gipfel passiert.



Ja - hoch isses scho ...



Und der Scherzkeks, der an dieser einzigen Schutzhütte im Fels dieses Fahrradverbotsschild angebracht hat, hat sich im Laufe der Jahre viele ungläubige oder amüsierte Lacher gesichert.
Es ist sicher eins der meistfotografierten Motive der gesamten Tour.




An manchen Stellen kam es mir so vor, als wäre weniger Eisen auch manchmal mehr gewesen. Gut für den Showeffekt und für Fotos, die ein bisschen was hermachen, sind diese Tritte allerdings ;-). Schwierige Passagen ohne Eisen und nur mit Fels oder Stein lassen sich dagegen fotografisch kaum festhalten weil die Brisanz aus Neigungswinkel, Rutschigkeit etc. auf dem Bild fast nie erkennbar wird.



Der "Chef" bestand darauf, dass auch ich mal auf einem Foto selber drauf bin, wo ich doch ständig alle anderen knippse.



um sich dann von mir beim sinnierenden Blick in die Landschaft wiederum ablichten zu lassen.






Auch die Zwischenrast wurde in luftigen Höhen abgehalten. Alle sind noch guter Dinge.
Danach ging es nochmals ca. 1,5 Stunden auf dem Steig weiter. Diese Passage aber ohne Fotos von mir, weil ich es gelegentlich auch gerne mal genieße, einfach nur zu genießen und nicht ständig zu klicken.
Eine ungeheuer fitte Truppe war das: 4 Frauen, 4 Männer - Alter zwischen ca. Ende 20 und ca. Ende 40 und keinem mangelte es an Ausdauer und Kraft. Meine Lauferei sicherte mir daher nicht nur keinen Vorteil - ich war zum Schluß heilfroh, mit den anderen noch mithalten zu können.



Hier - für unsere Gruppe nach ca. 4 Stunden - endet der offizielle Klettersteig. Körperlich geht es allen noch wunderbar. Aber müde sind die meisten doch. Nicht nur die körperliche Anstrengung frißt Ressourcen - auch die dauernde Konzentration und Aufmerksamkeit erschöpfen auf ihre Weise. Jetzt wird das Klettersteigset ausgezogen, verstaut und es geht nach einer Pause an den 1400 hm tiefen und weit zu laufenden Abstieg nach Mittenwald.



Womit ich nicht mehr gerechnet hätte und was für mich eindeutig brenzliger war als der ganze Steig: auch hier im Abstieg tauchen geröllige steinkrisselig rutschige Felder auf, die - unter ihnen der sichere Rutschabgrund ohne Zwischenhalt - passiert werden müssen. Hier fiel ich deutlich zurück und ließ Nerven. Meine Schuhe - keine sonderlich stabilen Einfach-billig-Treter (die teuren Lowas fristen wegen der von ihnen verursachten Mittel- und Vorfußbeschwerden zu Hause ein ungetragenes Dasein) boten hier keinen Halt. Immer wieder geriet ich ins Schwimmen und Gleiten und eierte im ich-mach-gleich-in-die-Hose-Look hinterher.




Irgendwann allerdings wurde der Untergrund wieder vertrauenswürdiger, die Baumgrenze war passiert, die Gewächse nahmen an Größe schnell zu und ich konnte wieder im Trabschritt zur Truppe aufschließen.





Dann endlich eindeutige Zeichen wiedergewonnener Zivilisation was in Form einer halben Radlermaß gewürdigt wurde.



Noch weitere 1,5 Stunden und 600 Höhenmeter später konnten wir von unten nochmal den Berggrat betrachten, den wir heute entlanggeklettert sind. Sieht von hier eigentlich gar nicht so schlimm aus ;-)
Resümé nach 4 Kletter- und weiteren 4 Wanderstunden (reine Gehzeiten): verkaterte Beine, die keine Treppe mehr runtergehen wollen, höllisch brennende Fußsohlen und ein saftiger Sonnenbrand. Und die Gewißheit: "Sowas machste bald wieder mal"!
* * *

1 Kommentar:

Hase hat gesagt…

Ja - hoch isses scho!!! *schluck* ;o)